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In der Räucherkammer aufgewachsen: Der Nullpunkt (Teil 3)

Geistig hatte ich mir inzwischen eine innere Haltung erarbeitet. Ich gelangte zu der Überzeugung, die ich später oft in meinen Gedanken wiederholte: Rauchen ist das Nutzloseste, Unlogischste und Dümmste, das es gibt. Die innere Haltung umfasst Gefühl und Wille. Das Gefühl war mir gleich wichtig, um nicht mit meinem motivierten, gefestigten, starken Willen gegen die Suchtwand zu prallen. Die Wand wird härter wenn sie mit Zwang gepaart wird, das zeigte die Vergangenheit. Zwang ist der Bruder von Sucht und um zu gewinnen, musste ich auch die Geschwister von Sucht außer Kraft setzen. Mit Liebe, Hilfe und Zuneigung konnte ich Druck, Zwang und Sucht besser Paroli bieten. So sah und empfand ich das.
Mein Mann ging eine Woche auf Geschäftsreise, das sollte die Startzeit werden. Ich teilte ihm mit, dass, wenn er wiederkommt, die Wohnung rauchfreie Zone sei. Falls er rauchen möchte, solle er die Zigaretten in seinem Auto lassen. Ich lagerte Nahrung ein und erteilte mir Autofahrverbot. Die Woche musste komplett frei von Verpflichtung sein! Ich ließ die Vergangenheit passieren und hörte den Satz einer Freundin in Gedanken: „Wenn Du nicht mehr rauchst, dann gibt es Dich nicht mehr“ und sagte dann zu mir: „Totgesagte leben länger“.

Der Nullpunkt

Hallo, was tust du, muss das sein, lass mal, lauf zu Fuß, nein zu weit, fahr mit dem Auto, nein, verboten. Lass mal, lass mal, ne lass nicht, nein anrufen, den Pizzaservice, eine Schachtel Zigas bitte, zu peinlich, hätte ich doch nie den Entschluss, wie konnte ich, es wissen nur zwei Personen, also schlimm wird’s nicht beim Weiterqualmen, ne lass mal. Es darf niemand wissen, nein nicht, Musik aufdrehen, tanzen, schreien singen, merde merde merde. Der Boxsack ist gut, sehr super, Sucht auf Sack projiziert und druff druff druff. Rum is es, never ever puff, ne ne ne, niemals wieder, niente aus is.

Tag drei

Es muss doch etwas geben!!! Irgendetwas gibt es doch!!! Was sagt der PC??? Zehn Stunden Internet: Verdampfer, Schnupftabak, Kautabak, Wasserpfeife ---- ne alles Miste. Der Magen spinnt, würg, würg, spuck, kotz, alles Miste. Aus is, vergiss es, ruhe in der Kiste, lass ma, lass sein, never ever verget den Puff, never, merdenientemiste no nie never no oh yes, was denn auch nix nix nix never ever puff.

Eintritt bei Stop Simply, zweiter Monat

Prima, nicht zugenommen, aufs Essen geachtet, nicht kompensiert, bei Sucht nur Wasser getrunken und Gemüsesticks gefuttert, ist aushaltbar, auch dank ausgedehnter Wald-Pilz-Sammel-Foto-Aktionen und Forum. Ich hatte immer Pfeil und Bogen dabei, um Nikmonster abzuschießen. Oh, es gibt viele Möglichkeiten mit diesen Giftgnomen umzugehen: abschießen, aufhängen, mit Bratpfannen zerklopfen, in den Piranhateich werfen. Die Kür ist allerdings nachäffen und auslachen. Pfeil und Bogen kannte ich aus der Kindheit, darin war ich versiert. Das Wichtige war die Abtrennung der Sucht vom eigentlichen Ich. Die Sucht als Nikmonster zu visualisieren half ungemein.
An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei allen Stop Simply Beteiligen bedanken, bei den Herstellern der Seite, natürlich bei Lars, bei allen supertollen MentorInnen, AufbauerInnen und MitleiderInnen. Ja, es gab das Jammertal mit dem Hotel zur Trauerweide und legändere Feuerwerke am Forellenteich mit sizilianischen Bergziegen und dem Masseur Oskar. Eine wunderbare Welt, die oft Suchtgedanken in andere Bahnen lenkten. Leben, Fantasie und Witz gibt’s im Forum, und diesen einzigartigen Zuspruch, ein miteinander Reisen, das Teilen von Freude und Leid, so habe ich es erlebt, auch wenn es ein wenig kitschig klingt. Ja, das Forum stärkt wahrlich ungemein.

Entwicklung der aktiven Extremitäten

Wie bereits erwähnt, fehlte jetzt Zucker im Blut fürs Gehirn. Das entstehende benebelte Gefühl kannte ich bereits. Die Idee war nun, das Nikotin nachzuäffen, indem ich das Adrenalin in die Höhe jagte. Das Konzept funktionierte bei mir gut. Ich suche mir bewusst Situationen, Aktionen und Erlebnisse, die mich in einen positiven kurzzeitigen Stress versetzten, im Gegensatz zum chronischen Dauerstressor Nikotin. Durch Freisetzung des Zuckers konnte ich besser denken, konnte somit handeln und musste nicht nur im Nichtmehrrauchen ausharren. Ich konnte aktiv leben und selbst gestalten.
Praktisch umgesetzt heißt das, denn ich tue manches noch heute: den Kopf unter kaltes Wasser stecken, Scharfes wie z.B. Senf löffeln, mit dem Foto Wildschweine jagen, auf einem Bein die Zähne putze, Wohnungsjoggen, mal laut in schrillen Tönen schreien und dabei vor sich selbst erschrecken, der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesteckt. Jeden Tag kleine Verrücktheiten begehen, die man noch nie in Erwägung zog, versprechen generell eine Reihe von Adrenalinschüben.

Dritter Monat und Fisimatenten

Gemeinheit! Da strengt man sich so an, Disziplin beim Essen zu üben und nimmt trotzdem zu. Das ist zum Kinderkriegen. Jetzt wird deutlich, wie und an welchen Stellen Nikotin und andere Zigarettengifte den Körper gesteuert haben. Ich schaute Essen nur an und die Grämmies sprangen auf meine Hüften. Der Bauch wuchs. Ich recherchierte weiter: Der Tabak, vorwiegend das Nikotin, ist ein Pharmakon, denn es greift generell in den ganzen Stoffwechsel des Körpers ein. Und Nikotin ändert den Körper strukturell. Genau das ist Ziel der Tabakindustrie, denn dadurch wird die Zigarette gebraucht wie Wasser und Brot.
Nikotin verändert auch den Dopamin- und den Serotoninhaushalt. Darin gleicht es manchem Psychopharmakon, das bei Depression und anderen als psychisch eingestufte Krankheiten verordnet wird. Jetzt wurde deutlich, warum es psychische Schieflagen nach dem Rauchstop gibt. Es ist eine Schieflage der Neurotransmitter. Unser Bauch besitzt ein selbstständig funktionierendes Nervengeflecht, das über sehr viel mehr Nervenzellen verfügt, als unser Gehirn. Davor macht das Nikotin natürlich auch nicht Halt. Es regt zu vermehrter Drüsentätigkeit an und Serotonin steuert mit anderen Komponenten zusammen die Peristaltik des Darms. Hinterhältige, bösartige Spiele hat das Nikmonster auf Lager!
Nikotin ist ein Herzschrittmacher, er puscht ständig ohne Rücksicht auf notwendige Ruhepausen. Der gesunde Wechsel zwischen Anspannung und Ruhe existiert somit nicht wirklich, wird nur vorgegaukelt, denn die erlebte Beruhigung ist ausschließlich Suchtbefriedigung. Nikotin veranlasst den Körper, Keratin in die Haut einzulagern, die Gesichter werden daher starr und maskenhaft, optisch tritt eine Verpanzerung ein. Verhindert wird ein elastischer Austausch mit der Umwelt. Ist über diese harte Haut, so fragte ich mich, eine Entgiftung eigentlich möglich?
Zigaretten puschen die weißen Blutkörperchen, weil sie mithelfen, die Gifte zu entsorgen. Nikotin erhöht künstlich das Kortisol und unterdrückt somit spürbare Entzündungen. Daher kam also das vermehrte Krankheitsgeschehen: Weniger Leukozyten, weniger Kortisol und die chronischen ständigen Krankheitsbegleiter werden akut. Oh fies: tatsächlich rauchte ich bei Krankheiten manchmal vermehrt. Und es half scheinbar, denn es unterdrückte die Krankheitszeichen und das gänzliche Durchleben und Spüren dieses körperlichen Kampfes fand nicht statt.


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